Ängstliche Hunde aus der Hand füttern

Ein Beitrag von Wibke Hagemann

Der Ratschlag: „Handfütterung schafft Vertrauen, daher sollten ängstliche und menschenscheue Hunde ausschließlich aus der Hand gefüttert werden“, ist nicht nur falsch, sondern verschlimmert meistens die Situation zwischen Mensch und Hund noch zusätzlich. Warum das so ist, erkläre ich Ihnen in diesem Beitrag.

Dazu stelle ich Ihnen ein Beispiel aus meiner täglichen Praxis vor, wie ich es schon vielfach in dieser Form erlebt habe. Ich bin zu einem Termin bei einer netten Familie, die zwei Wochen zuvor einen jungen Hund aus dem Tierschutz übernommen hat. Die Familie berichtet sehr liebevoll über den Hund, ist aber sehr verzweifelt, weil sich das Zusammenleben täglich verschlimmert.

Bei meinem Besuch sitzt der Hund in einem anderen Raum des Hauses und traut sich nicht heraus. Er meidet jeglichen Kontakt zum Menschen und wenn man den Raum betritt, flüchtet er von einer Ecke in die andere. Vorsichtige Annährungsversuche der Familie mit Futter in der Hand haben bisher mittelmäßig funktioniert und endeten manchmal in Gebell und Knurren, wenn sich der Hund vor einer unerwarteten Bewegung des Menschen erschreckte. Und obwohl der Hund bereits seit Tagen mehrmals täglich geduldig Futter aus der Hand erhält, will sich das erhoffte und prophezeite Vertrauen nicht einstellen.

Futter ist doch ein positiver Verstärker, denken Sie sich jetzt?! Was läuft in solchen Fällen schief? Nein – in diesem Fall ist Futter kein positiver Verstärker.

Positive Verstärkung ist eine angenehme Konsequenz, die das Verhalten unseres Hundes in Zukunft mehr werden lässt

Klingt das zu kompliziert? Okay, einfacher gesagt: Wenn dem Verhalten unseres Hundes etwas für ihn angenehmes folgt, wie zum Beispiel ein Spiel mit uns, Aufmerksamkeit oder auch Futter, wird der Hund das Verhalten, das diese angenehme Konsequenz hatte, in Zukunft öfter zeigen. Der Hund tut also etwas und es folgt etwas Gutes – in Zukunft wird er genau dieses Verhalten wiederholen. Das Problem an der Sache ist dabei, dass der Hund entscheidet, was eine angenehme Konsequenz ist, aber nicht wir Menschen.

Lassen Sie uns nun das Wissen über positive Verstärkung auf die Handfütterung bei Angst vor Menschen übertragen.

Das bedeutet zunächst einmal, dass die Anwesenheit des Menschen aktuell eine unangenehme Konsequenz für den Hund darstellt. Jetzt hält der Mensch allerdings Futter in der Hand, also etwas potentiell Angenehmes. Gleichen sich nun das Futter (das Angenehme) und die Anwesenheit des Menschen (das Unangenehme) nicht aus? Nein, in den meisten Fällen leider nicht.


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Der Hund wird durch das Futter in der Hand des Menschen in einen starken Konflikt gebracht

Oftmals sehen wir in solchen Situationen einen Hund, der mit lang weggestreckten Hinterbeinen und körpersprachlich deutlichen Angstmerkmalen das Futter von der Hand nimmt, jedoch sieht dies alles andere als angenehm aus. Spätestens, wenn das defensive Verhalten des Hundes mehr wird, sollten solche Versuche eingestellt werden, denn die Handfütterung führt hier nicht zum Erfolg.

Ein Beispiel macht es vielleicht deutlicher: Stellen Sie sich vor, dass Sie Schokopudding lieben. Schon bei dem Gedanken an Schokopudding müssen Sie lächeln. Im Gegenzug haben Sie allerdings Angst vor Spinnen. Selbst eine kleine Spinne im selben Raum, jagt Ihnen eine Gänsehaut über den ganzen Körper und Sie möchten am liebsten fluchtartig den Raum verlassen.

Nun biete ich Ihnen dreimal täglich Schokopudding an. Dieser steht jedoch in dem Terrarium einer Tarantel. Sie müssen ihn Sich einfach nur herausnehmen – Sich nur kurz überwinden. Wiegt Ihre Liebe zu Schokopudding Ihre Angst vor Spinnen auf? Werden Sie Ihre Angst vor Spinnen verlieren, weil der Schokopudding in der Nähe der Riesenspinne ist? Wohl kaum.

Und genauso geht es dem Hund auch. Er will das Futter, ist aber gezwungen, sich dafür dem Objekt seiner Angst anzunähern.

Ich denke anhand des Beispiels wird deutlich, dass Handfütterung kein Allheilmittel oder Rezept ist, um einem Hund die Angst vor Menschen zu nehmen. Es gibt jedoch viele gut geeignete Möglichkeiten, Futter in diesem Prozess auf besser geeignete Weise zu nutzen. Meine Empfehlung ist, sich frühzeitig Unterstützung zu suchen und an einen Spezialisten zu wenden, der sich mit dem Training von ängstlichen Hunden auskennt. Während den ersten Maßnahmen einen guten Trainer an seiner Seite zu haben kann dafür sorgen, dass Mensch und Hund eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen.

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